Wer Bachs Handschrift zum ersten Mal sieht ist in der Regel erstaunt, wie sehr er, bei aller kompositorischen Komplexität, leidenschaftlicher Musiker ist. Seine Hand bildet beim Schreiben möglicherweise in Tempo und Gestik der Musik folgend die musikalischen Gedanken nach. Schwünge, Bögen und Balken „tanzen“ durch die Notation und verraten eine Lebendigkeit, die in den Druckausgaben seiner Werke kaum zu erahnen ist.
Beim Anblick der Bach-Handschrift hatte ich schon immer das Bedürfnis, diesem Werk als bildender Künstler zu begegnen. Meine Instrumente sind nunmehr Tipp-Ex, Graphit, Tusche, Kreiden. Die Linie folgt dem forschenden Auge, findet motivisches Material kreuz und quer im Blatt, verbindet es. Das gesamte Blatt wird zu einem Areal, zu einer Baustelle.
Gleichzeitig zu der blattimmanenten Logik ist die Zeichnung auch als Konzept angelegt, als Choreographie. Die Ausführung, also das grafische Spiel auf dem Blatt, und die konzeptuelle Choreografie, verwandeln sich ineinander, sind weder trennbar, noch gleichzeitig zu denken. Diese Irritation ist gemeint. Den sicheren Boden gibt es nicht mehr. Bachs bewegte, tänzerische Handschrift, wo immer sie auftaucht, bleibt der einzige Halt - fast vollständig überzeichnet und doch in ihrer Autorität allgegenwärtig.