Zunächst einmal bitte ich Sie, mir nicht zu glauben, wenn ich Ihnen sage: "Die Arbeiten Jaenickes haben keine Form.". Diese kleine Notlüge ist trotzdem sehr probat: Wer sich diese Arbeiten etwas eingehender ansieht, nimmt so etwas wie ein charakteristisches Formenvokabular des Künstlers wahr. Eines bleibt dabei dennoch aus - und das ist generell der Verweis auf Formen der Welt ausserhalb des Bildes. Ich möchte des Pudels Kern in diesen Arbeiten daher eine Morphologie oder Formenkunde der Prozesshaftigkeit nennen, die der Künstler seit geraumer Zeit erkundet..
Bei dem Wort "Künstler", so es nun einmal ausgesprochen ist, darf hierbei ausdrücklich auf eine sympathische Nähe zum handwerklichen Tun hingewiesen werden. Wichtig ist Hans-Christian Jaenicke der Topos "Baustelle", einem Ort, an dem es weniger um die Brillanz philosophischer Einsichten geht, als um einen insgesamt recht unprätentiösen Arbeitsprozess, zu dem bei Hans-Christian Jaenicke inzwischen längst auch ein erweiterter Kanon an verwendeten Baustoffen und Werkzeugen Zugang gefunden hat. (Ein Restaurator würde wenn ich ihm als verwendete Materialien neben Dispersionsfarbe unter Anderem auch Kugelschreiber und ähnlich profane Instrumente nenne, möglicherweise kollabieren!)
Ein offener Werkbegriff - wie der von Jaenicke beanspruchte, lässt bei der wünschenswerten Ignoranz konservatorischer Maßstäbe Raum für Entdeckungen eigener Art: Ein ritzendes Messer hinterläßt nicht lediglich eine gekerbte Linie und somit einen reliefhaften Eindruck - es kann bei geeignetem Untergrund zu durchaus beabsichtigten Einfärbungen durch Mataerialabrieb kommen, die aus Hinzufügen und Wegnehmen ein Spiel von Konstruktion und Dekonstruktion werden lassen.
Diese Prozesshaftigkeit schlägt sich - seien Sie auf der Hut - nicht in den Titeln nieder! Alle Exponate könnten ebensogut "o.T." genannt werden. Der ausschließliche Zweck der Titel findet sich in der Notwendigkeit, fertiggestellte Arbeiten zu ertinnern und zu identifizieren. Etwaige semantische Bedeutungsgeflechte, die sich aus dem Auftreten der Titel ergeben, bleiben Spurenelemente, sowie die Spuren ders Sozialen- und Alltagskontextes, z. B. in der Arbeit.
(DANIEL PENSCHUCK, Bremen 1999)